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Die Geschichte von Chimera und mir...

Chimera, Angloaraber-Poln. WB-Mix, geb. 28.03.2007

Pferde haben mich schon immer fasziniert. Ab der dritten Klasse hatte ich Reitunterricht und bin insgesamt 6 Jahre geritten. Durch Reitlehrerwechsel, Pferdewechsel im Stall und Zeitmangel habe ich dann aufgehört. Die Pferde und das Reiten haben mich aber all die Jahre nicht losgelassen; ich hatte mir vorgenommen, irgendwann wieder anzufangen.

Letztes Jahr besuchte ich dann meine Freundin Anja, die ausbildungsbedingt von Sachsen wieder nach Hause kam und sich zu Beginn der Ausbildung ein Friesenfohlen gekauft hatte. Das Pferd hatte sie mitgebracht und im Aktivstall Triftern eingestellt. Ich war überwältigt, ich hatte noch nie so einen schönen Stall gesehen und ich stellte fest, dass mir die erneute Begegnung mit den Pferden unendlich gut tat. Die Idee, auch ein eigenes Pferd zu haben und wieder zu starten, war geboren.So durchforstete ich das Internet nach diversen Angeboten, wurde aber in den kommenden Wochen nicht fündig. Bis ich eine 9jährige Fuchsstute, polnisches Warmblut, auf der Seite einer Händlerin sah. Ich rief sofort an, leider war das Pferd nicht mehr am Stall und verkäuflich. Die Händlerin meinte jedoch, sie hätte noch ein anderes Pferd am Stall, ebenfalls polnisches Warmblut, erst 5,5 Jahre alt, aber sehr lieb im Umgang und geländetauglich. Ich solle mir doch dieses mal ansehen, vielleicht fände sich eine Alternative zu der Fuchsstute. Also fuhr ich sofort los und wollte mir das Pferd ansehen. Das war am 23. September 2012.

Im Verkaufsstall angekommen, sah ich zuerst einen braungescheckten Wallach, in den ich mich prompt hätte verlieben können. Ich war schon fast soweit, dieses Pferd zu nehmen, als die Händlerin sagte, die junge Stute wäre in der Halle beim Vorreiten. Also ging ich rein, sah sie laufen und dachte mir, die wäre schon nicht schlecht. Schließlich ging ich auf sie zu, sie sah mich an, ich setzte mich rauf und ritt ein paar Runden Schritt und Trab, und der Rest ist kurz erklärt: Liebe auf den ersten Blick. Irgendwas hat mich an diesem Pferd sofort fasziniert. Damals konnte ich noch nicht sagen, was es wahr. Heute weiß ich es.


Trotzdem wollte ich das Pferd noch kurz draußen im Gelände testen, schließlich wollte ich das Pferd ja zum Freizeitreiten und Geländereiten. Auch hier war sie superlieb - ich wollte mir noch einen Tag Bedenkzeit lassen. Am nächsten Tag habe ich den unterschriebenen Kaufvertrag an die Händlerin gefaxt. Das Pferd kam noch in der selben Woche in den Stall, wo ich eine Box angemietet hatte - die Reitanlage in Triftern erschien mir trotz der idealen Haltungsbedingungen ziemlich teuer. Mittlerweile weiß ich, dass ich hier am falschen Ende gespart habe.


Na ja, das erste eigene Pferd macht einen ziemlich happy - jedoch war diese Freude bald getrübt. Das Pferd hatte vom Handelsstall Pilz und starke Strahlfäule mitgebracht und auch das zuerst liebe Verhalten wandelte sich abrupt, sie zwickte mich an, drängelte mich zur Seite oder rannte mich gleich über den Haufen, schlug mit den Hufen nach mir; außerdem war sie ziemlich abgemagert. Es kam jede Menge Ärger im Stall auf mich zu - die Pilzinfektion (welche angeblich andere Pferde ansteckte und eine Auseinandersetzung über die Tierarztkosten folgte), die Strahlfäule, „Ratschläge“ der Stallkollegen bezüglich des Verhaltens meines Pferdes. Die kommenden Wochen wurden für mich und das Pferd zur Hölle. Wir wurden im Stall ausgegrenzt und beschimpft. Als Wiedereinsteigerin hatte ich nicht genug Erfahrung, mit dem neuerdings veränderten Verhalten meines Pferdes umzugehen - ich hatte so was noch nie gesehen und es wurde mir ja als anfängertauglich verkauft. Bald mochte ich nicht mehr zum Stall fahren, und wenn ich es tat, kam ich verzweifelt und heulend nach Hause. So hatte ich mir das nicht vorgestellt und ich war heillos überfordert. Die Stallkollegen beschimpften mein Pferd als bösartig, gefährlich, und ich sollte ihr ruhig mal eine „reinhauen“, die brauche das. Und am besten solle ich sie so schnell wie möglich verkaufen, sie tauge nichts.


Es war nie mein Verständnis von Pferdeliebe und Reiten, dass man mit einem Lebewesen so umgeht. Ich wollte mein Pferd nicht schlagen. Ich wollte einen anderen Weg, aber niemand konnte und wollte mir helfen und ich selbst wusste auch nicht, wie ich das anstellen sollte. Meine Verzweiflung ging soweit, dass ich einen regelrechten Hass auf mein Pferd entwickelte. Ich wollte nicht mehr hinfahren und mich damit beschäftigen. Am liebsten hätte ich sie einfach schnellstmöglich verkauft und bis dahin einfach ignoriert. Ich verstand zu diesem Zeitpunkt noch nicht, warum sie so reagiert und ließ mir von den anderen einreden, dass sie das mit Absicht macht.


Ich fragte mich, ob mich mein Gefühl beim Kauf wirklich so täuschen konnte - im Nachhinein war es wirklich leichtsinnig, ein Pferd zu kaufen, ohne Ankaufsuntersuchung, ohne jemanden mitzunehmen, der sich auskennt. Ich machte mir schlimmste Vorwürfe und hätte mir ein Loch gewünscht, in das ich mich schnell verkriechen könnte, um dem ganzen Stress und Ärger zu entkommen.


So fuhr ich kurz darauf wieder zu der Händlerin und berichtete ihr von meiner Lage. Sie erklärte sich zum Glück sofort bereit, das Pferd wieder zu sich in den Stall zu holen, die „Mängel“ zu korrigieren und Pilz und Strahlfäule zu behandeln. Die nächsten Wochen verbrachte das Pferd dort in dem Stall und es stellte sich heraus, dass es auch noch hochgradig verwurmt war. Ein weiterer Tiefpunkt - ich dachte, es würde niemals gut werden. So wie andere eine Schrottimmobilie kaufen, hatte ich wohl ein Schrottpferd gekauft, dachte ich.

Als mein Pferd wieder Pilz-und Wurmfrei war, beschloss ich, sie nach Triftern zu bringen. Sie war immer noch mager doch Reisefertig und das Geld war mir nun egal. Ich wollte einen kompletten Neuanfang für uns beide und vor allem artgerechte Haltung für mein Pferd.

Im alten Stall wurde sie den ganzen Tag in der Box gelassen. An einem total verregneten Tag standen wir - Sabine, die Stallbesitzerin in Triftern, Anja und ich - fast zwei Stunden im Regen um das Pferd zu verladen. Sie wollte nicht in den Hänger, weil sie bisher immer gewaltsam verladen worden war. Das wollten wir auf keinen Fall und so dauerte es halt fast zwei Stunden. Als wir in Triftern ankamen, fiel mir ein ganz großer Stein vom Herzen. Es konnte nur noch besser werden. Und es ging bergauf - das Pferd wurde ausgeglichener und nahm endlich an Gewicht zu.

Nach ein paar Wochen begannen wir mit Unterricht bei Lena. Es dauerte einige Zeit, bis das Pferd wieder Vertrauen zu Menschen fasste und anfing, mich zu akzeptieren. Und ich fing an, mein Pferd und sein Verhalten zu verstehen und zu überdenken. Ebenso mein eigenes Verhalten.

Was folgte, waren Monate voll neuer Erfahrungen, die mich und mein Pferd komplett veränderten. Ich hätte nicht gedacht, dass ein solcher Umbruch möglich wäre, dass es sich in solch eine positive Richtung entwickeln könnte.

Ich hatte mich ja fast mit dem Gedanken abgefunden, dass das Thema eigenes Pferd gründlich schiefgegangen war und die Situation nicht mehr zu retten wäre. Aber ich fing an, mich intensiver mit meinem Pferd zu beschäftigen, es zu verstehen, meine Haltung ihm gegenüber zu verändern. Der anfängliche Hass, die Hilflosigkeit wich einer neuen Stärke und Hoffnung, es doch noch hinzubekommen. Wir machten viel Bodenarbeit und mein Pferd begann langsam, mich zu akzeptieren und mir zu vertrauen. Das war ein sehr schönes Gefühl. Und umso besser unsere Zusammenarbeit klappte, umso mehr Freude hatte ich daran. Diese Zeit hat mich ebenso verändert wie mein Pferd. Ich bin viel ruhiger, entspannter und selbstsicherer geworden, ich habe keine Angst mehr vor meinem Pferd und freue mich jedes Mal, wenn ich zum Stall komme. Es gab in diesen Monaten einen Moment, in dem mir zum ersten Mal wirklich klar wurde, dass ich dieses Pferd wirklich mag und froh bin, nicht aufgegeben zu haben. Wir standen in der Halle, haben unsere Übungen gemacht, und sie stand ganz ruhig vor mir. Kopf gesenkt, entspannte Falten über den Augen, und hat mich nur angesehen. In diesem Moment wurde mir klar, dass es einen Grund hatte, warum wir zusammengefunden haben und warum ich nicht aufgegeben habe. Ich schwor mir, diesen Moment in Gedanken zu halten.


Ein paar Wochen nach diesem Moment kam ein Zeitpunkt, wo wir bei der Arbeit nicht mehr so vorankamen wie gewohnt. Ich war frustriert und dachte erneut an einen Verkauf. Nach einem Gespräch mit Lena und der Erinnerung an den damaligen Moment wurde mir aber klar, dass das nicht richtig wäre. Ich könnte nicht mit dem Gedanken leben, dass sie woanders wäre und ich nicht wüsste, wie es ihr dort ginge - vielleicht würde ein neuer Besitzer sie wieder schlecht behandeln. Zum zweiten Mal beschloss ich: wir geben nicht auf. Seitdem geht es wieder bergauf. Vor kurzem war ich eine Woche krank und konnte nicht zum Stall. Mir wurde berichtet, dass mein Pferd mich offensichtlich vermisst hat. Als ich wieder kam, sah sie mich an und kam auch gleich mit (manchmal ist es nämlich so, dass wir eine kleine Runde „Fang mich doch“ spielen, wenn ich in den Auslauf komme, um sie herauszuholen). Diese Woche Pause hat uns noch mehr zusammengeschweißt, man merkt an ihrem Verhalten, dass sie mich mittlerweile als Bezugsperson akzeptiert und mag, soweit das einem Pferd möglich ist. Letzte Woche kam sie das erste Mal auf Zurufen zu mir. Das sind kleine, aber wertvolle Momente, die einem bestätigen, es richtig zu machen und nicht aufzuhören.


Und ich kann mittlerweile auch sagen: ich mag mein Pferd. Und ich könnte mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Wir brauchten nur eine Bewährungsprobe, um festzustellen, dass es doch passt. Uns fehlte sozusagen ein „Dolmetscher“ - diese Rolle hat Lena übernommen und ich bin unheimlich dankbar dafür. Ich habe gelernt, dass Aufgeben keine Option ist, das man sich selbst und anderen, vor allem dem Pferd, eine Chance geben muss (sie hat es sich ja auch nicht ausgesucht, wie sie früher behandelt worden ist, sie konnte ja nichts dafür) und dass man sich auf sein Bauchgefühl verlassen kann. Und mein Pferd hat gelernt, dass man Menschen vertrauen kann, dass man mit ihnen zusammenarbeiten kann. Von Lena habe ich gelernt, wieder sensibel zu werden (so wie ich es früher war), Stress loszulassen, mich selbst zu reflektieren, das Pferd als Spiegel wahrzunehmen und mich selbst entsprechend zu verändern, das Verhalten und Wesen eines Pferdes zu verstehen. Es ist genau der Weg, den ich immer gehen wollte - ein respektvoller, vertrauensvoller Umgang mit meinem Pferd. 

Früher dachte ich, ich wäre ein Mensch mit Pferdeproblemen

mittlerweile weiß ich, Chimera war ein Pferd mit Menschenproblemen.

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